Wenn Pflege an die Nerven geht: Umgang mit herausforderndem Verhalten Demenzkranker
30. Pflegefachtagung am medbo-Institut für Bildung und Personalentwicklung
Sie toben und beschimpfen diejenigen, die es eigentlich gut mit ihnen meinen. Sie rennen den ganzen Tag herum: rastlos, orientierungslos, bis zu 40 km. Oder noch schlimmer: Sie rennen ihren pflegenden Bezugspersonen ständig hinterher. Die Pflege demenzkranker Menschen bringt Familien und Pflegepersonal manchmal an den Rand eines Nervenzusammenbruchs. Aber es gibt Wege zu mehr Verständnis, raus aus der Überforderung.
Menschen mit Demenz erleben Wirklichkeit anders. Sie verlieren die Fähigkeit, sich Dinge ins Gedächtnis einzuprägen, und dann verlieren sie ihr Gedächtnis selbst. Daher machen sie in ihrer Wahrnehmung Realitätssprünge durch, verlieren jeden Bezug zu Raum und Zeit, sind gefangen in ihrer inneren Welt, in Emotionen und Erinnerungen. Der Ausbruch von Gefühlen wie Wut, Frust, Angst, Scham und Verzweiflung als Ausgleich der kognitiven Fähigkeiten kann hirnorganisch nicht mehr kontrolliert werden. Sie reagieren mit Agression, Apathie, Depression, monotonem Singsang, Unrast. Für pflegende Familienmitglieder, aber auch professionelle Pfleger eine nicht endende Geduldsprobe. Aber „herausforderndes Verhalten“, wie der Fachterminus hier lautet, ist immer auch Selbstbehauptung: Es drückt das Bedürfnis nach Kontakt, nach Ausdruck, nach Kommunikation und nach Handlungsfähigkeit aus. Herausforderndes Verhalten ist also immer auch eine Ressource und somit ein therapeutischer Ansatzpunkt.
Der mittlerweile 30. Pflegefachtag am Regensburger Institut für Bildung und Personalentwicklung der medbo (Medizinische Einrichtungen des Bezirks Oberpfalz) widmete sich ganz diesem spannenden Thema. Nicole Richard, renommierte Gerontologin vom Institut für Integrative Validation, gab den 300 Teilnehmern einen Überblick, wie man mit herausforderndem Verhalten Demenzkranker umgeht. Die gute Nachricht: man kann sogar mehr, als sich nur ein dickes Fell zulegen – man kann etwas tun!
Auslöser herausfordernden Verhaltens ist meist das gut gemeinte, aber oft „falsche“ Verhalten der pflegenden Personen selbst. Ein Beispiel: Ein Mensch ohne Zeitverständnis kann mit einer Aussage wie „Am Sonntag kommt Ihre Tochter Sie besuchen“ nichts anfangen – er wird zwangsläufig ohne Unterlass fragen, wann denn der Besuch kommt. Oder: Kann ein dementer Patient sich nicht erinnern, wo er etwas hingelegt hat, wird er möglicherweise behaupten, er sei bestohlen worden – Auslöser ist vielleicht die simple Frage, wo er die Sache denn zuletzt gesehen hat. Da er sich hilflos fühlt, flüchtet er sich vielleicht in Empörung und Wut. Und der Dauerbrenner Unrast? Demente Menschen, die in ihrem gesunden Leben sehr aktiv und fleißig waren, werden dieses Verhalten in der Krankheit nicht ablegen. Im Gegenteil: Sie brauchen ständig etwas zu tun und laufen ohne Unterlass herum – bis zu 40 km pro Tag!
Doch die Umwelt kann pro- und reaktiv agieren: die dazu entwickelte Behandlungsweise „Integrative Validation (IVA)“ ist eine Methodik der Gesprächseröffnung, der Kommunikation und des Umgangs mit Demenzkranken. Die Basis dafür ist die Konzentration auf die Ressourcen des Patienten, wie Antriebe und Gefühle, und das Eingehen auf seine Lebensgeschichte oder Sozialisierung. Wird weniger kommentiert, sondern mit einfachen, kleinen Sätzen wertschätzend auf sein Verhalten eingegangen (= validiert), fühlt sich der Demenzerkrankte erfasst und verstanden. IVA beginnt mit der Wahrnehmung, es folgt der Kontakt und erst dann erfolgt die Pflegehandlung.
Bei obigen Beispielen könnte dies so aussehen: Auf die Dauerfrage nicht mit der Dauerantwort „Am Sonntag“ reagieren, sondern mit einer bestätigenden Aussage wie „Sie sind wirklich eine gute Mutter“ oder „Sie kümmern sich immer so um alle“. Beim Thema verlorene oder verlegte Gegenstände könnte ein nettes Wort helfen wie „Sie sind so ein ordentlicher Mann und haben immer alles tip top!“. Den Marathon-Läufer hingegen sollte man regelmäßig mit einem „Rast“-Angebot bremsen: Einer Sitzgelegenheit, einer Aufgabe oder mit dem simplen Satz „Sie sind immer so fleißig – immer auf Achse“. Mit solchen Sätzen kann man den Kranken emotional ansprechen, sein intuitives Erinnerungsreservoir anzapfen und damit seinem Wunsch nach Ausdruck und Kommunikation einen Ansatzpunkt geben. Und einen Grund, mal Pause zu machen. Eigentlich ein einfaches Rezept.
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